Heute war der aufregendste Tag für Marie-Therese.
Sie hat die Nacht von Montag auf Dienstag bereits mit Mama im Spital verbracht. Um 2:00 Uhr in der Nacht kam die Schwester um mitzuteilen, dass sie ab jetzt nichts mehr essen darf. Um 5:00 Uhr hat die Schwester noch einen Saft gebracht, und gemeint nachher darf Marie-Therese nichts mehr trinken.
Ab 7:00 Uhr war Marie-Therese sehr sehr nervös und angespannt. Das Warten auf einen ungewissen Termin erscheint endlos.
Um 8:00 Uhr hat die Schwester noch keinen OP-Plan und kann nicht genau sagen, wann sie dran kommen wird.
Um 8:15 Uhr kommen mehrere Ärzte und Schwestern zur Visite und unmittelbar dannach gehts auch schon in Richtung OP. Ein kleines Zäpfchen zur Beruhigung, damit sie das Venvlonstechen nicht so richtig mitbekommt, Mama darf nur bis zum Vorbereitungsbereich vor dem OP mitkommen und ruck zuck ist sie mitsamt dem Bett und den Stofftieren im OP verschwunden.
Ca 1,5 Stunden wird es dauern, haben die Ärzte gesagt und ca 500ml Knochenmark werden sie entnehmen. Maximal 700ml sind auf Grund der Körpergröße möglich.
Während der Entnahme wird die Dichte der enthaltenen Stammzellen gemessen, gleichzeitig fließt ein Erykonzentrat in sie hinein um den Verlust an Blut ein bisschen auszugleichen.
Jetzt beginnt für uns Eltern das lange Warten mit einem Wechselspiel der Gefühle. Ein SMS an Philipp, dass es bei seiner Schwester losgeht. Wir reden und philosophieren, grübeln, sind gerührt, und schöpfen Hoffnung, sind UR-stolz auf unsere Tochter, haben gleichzeitig Sorge ob alles gutgehen wird und warten und warten und warten. Kopf, Körper und Geist sind nicht wirklich kontrollierbar. Irgenwie funktioniert man halbautomatisch, und hat ein bisschen das Gefühl wie wenn ein Film abläuft oder man ist im Halbschlaf und träumt das alles nur.
Nach ziemlich genau 2 Stunden um 10:20 Uhr wird Marie-Therese aus dem OP wieder ins Zimmer gefahren. Zunächst noch laut schnarchend mit 2 (zwei!) Venflons, einen auf der rechten Hand und einen auf der linken Hand, sowie einem Fingerklip zur Kontrolle von Puls und Blutsauerstoff.
Sie wirkt aber im Schlaf angespannt und nach 30 Minuten wird sie weinend munter, schimpft auf die "bösen" Ärzte, die sie nicht zur Mama gehen ließen, verstößt die Schwestern, weil sie mit den Ärzten verbündet sind und somit auch böse sind.
Sie will sofort nach Hause, "und den Philipp nehmen wir auch gleich mit".
Für uns wirkt das alles sehr real, obwohl sie immer wieder die selben Fragen stellt und noch etwas verwirrt wirkt.
Da die Taschentücher rasch ausgehen, verschneuzen wir eine ganze Rolle Klopapier. Es waren schlimme 4 Stunden, bis Marie-Therese endlich wieder richtig munter war und klar denken konnte. An ihre Weinkrämpfe der letzten Stunden kann sie sich aber nicht mehr so richtig errinnern. Zum Glück.
Kaum wird sie, so gegen 14:00 Uhr, ein bisschen fit, futterst sie der Mama auch schon die vom Papa gelieferte Miso-Suppe weg. Wir deuten das als gutes Zeichen. ;-)
Zurück zum Vormittag:
Weil die Mama aber nicht von der Seite von Marie-Therese weichen darf, wechselt der Papa zwischen Marie-Therese und Philipp. Das Riesenblutsackerl mit insgesamt 850ml Knochenmarkblut wird bei ihm bereits um 10:30 Uhr angeschlossen.
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Also direkt aus dem OP zum Philipp, weil eben alle Komonenten passen, ist keinerlei Zwischenbehandlung notwendig.
Wegen der maximalen Durchflussgeschwindigkeit von 150ml/Std. wird es 5,5 bis 6 Stunden dauern bis das gesamte Knochenmarkblut in ihm drinn ist.
Philipp nimmt das frische Blut sehr gelassen auf, er sitzt gelangweilt im Bett vor dem TV und reagiert wie bei jedem anderen Blutsackerl mit kalten Füßen und heißen rot glühenden Ohren. Wie immer wird neben Dauer-EKG und Fingerklips auch noch regelmäßig der Blutdruck gemessen. Neben den beiden Spiralschläuchen mit den laufenden Infusionen hängt jetzt noch ein Klarschlauch mit der Blutkonserve. Der Besuch der Toilette wird dadruch zur akrobatischen Meisterleistung. Nichts darf den Boden berühren, die Schlauchüberlängen sind am Bett mit Leukoplast angeklebt. Zwischen Schläuchen und Kabeln hindurch zu den Handschuhen, Fliestüchern mit Eichenrinde für den Po, weil das normale Klopapier ist zu rau. Jeder Schritt und jede Bewegung muss sehr langsam und überlegt durchgeführt werden, damit ja nichts mit Keimen in Berührung kommen kann.
Um ca. 14:00 Uhr bekommt Philipp eine allergische Reaktion. Zunächst nur ein kleiner roter Flleck auf der Hand und unter der Achsel. Gegen das Jucken bekommt er von der Schwester zunächst eine Creme. Nach 15 Minuten ist der ganze Unterarm rot und juckt. Sofort wird die Knochenmarkinfusion gestoppt, ein Gegenmittel angeschlossen und erst nach 1,5 Stunden gehts mit dem Knochenmark weiter. Durch dieses Mittel ist Philipp aber total müde und schlapp geworden. Bis 17:00 Uhr ist er dann wieder ausgeschlafen und fit. Die 850ml Knochenmarkblut sind um ca. 17:30 Uhr komplett in Philipp drin.
Das wars in kurzen Worten.
Was dazwischen noch alles geschehen ist:
Philipp durfte wieder seine Lungen trainieren, der SpiroTiger hat nicht richtig funktioniert und wurde heute endlich ausgetauscht. Jetzt ist es viel cooler damit zu trainieren, und macht richtig Spass. Er ist stolz, dass er als Versuchskaninchen ausgewählt wurde, schließlich ist er der erste und einzige Patient der einen SpiroTiger hat.
Auch werden nur bei ihm im Zimmer neuartige Wasserfilter eingesetzt. Zwar sind in allen Zimmern auf allen Wasserentnahmestellen irgendwelche Filter drauf, aber bei ihm sind es ganz spezielle eines neuen Hygienesystems.
Der Muskelkater in den Beinen läßt langsam wieder nach, aber mit ihm auch die Kräfte. Philipp muss sich zum Zähneputzen hinsetzen weil ihm die Beine nicht mehr so lange tragen können.
Dann wurde ein Superbypassinfusiomat ins System eingebunden. Damit kann sich Philipp selber die notwendige Menge an Morphium dosieren. Eine kleine Menge rinnt dauerhaft, und im Bedarfsfall kann er mittels Knopfdruck mehrmals Boostern. Aber nur bis zu einer eingestellten Gesamtmenge und nur in gewissen Mindestabständen.
Er hat das vor dem Abendessen gleich ausprobiert und nach 15 Minuten konnte er vollkommen schmerzfrei die frischen Palatschinken (Pfannkuchen) geniesen.
Wir haben heute auf der Stationsküche wieder frisch gekocht für Philipp und Marie-Therese.
Für Marie Therese haben wir das Abendessen quasi auf die Nachbarstation reingeschmugelt, aber sie hat sich sehr darüber gefreut, weil das Spitalsessen ist trotz aller Bemühungen der Spitalsküche sehr gewöhnungsbedürftig.
Die Palatschinken waren so lecker, dass sogar die eine oder andere Krankenschwester angelockt wurde. ;-)
Marie-Therese hat es genossen den ganzen Nachmittag fern zu sehen. Die beiden Punktionsstellen schmerzen aber, und der mittlerweile nur noch eine Venflon tut auch weh. Alle 6 Stunden bekommt sie ein Schmerzmittel, das letzte vorraussichtlich um 02:00 Uhr in der Nacht.
Die Schwestern auf der Station sind sehr nett und beorgt rund um Marie-Therese. Einige haben selbst mehrere Jahre auf der Onkolgie Station gearbeitet und wissen wie das ist.
Philipp ist heute Abend am besten von uns allen drauf. Frisch und fröhlich zeigt er sich sehr gesprächig und vor allem sehr optimistisch. "Wir werden ruck zuck durch diese Phase maschieren, ohne großartige Verzügerungen - ebenso wie durch die letzten Chemoblöcke" hat er mir zum Abschied heute Abend gesagt "wir wollen ja keine Matura schreiben, das sollen die Ärzte und Schwesten gefälligst selbst machen. Wir helfen ihnen dabei und nehmen an Studien teil und beantworten Fragebögen etc.. Das muss genügen, und in ein paar Wochen sind wir wieder zu Hause, und die sollen sich jemand anderen für ihre Studien suchen"
Auch hat er großen Spass daran die Schwestern ein bisschen zu veräppeln. Heute hat er das Dauer-EKG kurz zum Zähneputzen abgesteckt. Nach dem Wiederanstecken hat er sich noch umgezogen, wodurch der Puls schlagartig einen hohen Spitzenwert überschritten hat. Das gibt eine automatische Meldung beim Stützpunkt und sofort stand eine Krankenschwester in der Türe und fragte ob eh alles passt. Philipp hat nur gelacht und gemeint "das war jetzt ein Pech, dass die sich geschreckt haben, aber irgendwie müss ma die Schestern ja auch ein bisschen auf Trapp halten. Hihi."
Marie-Therese ist noch nicht besonders gesprächig und muss die vielen Eindrücke von heute wahrscheinlich erst verarbeiten. Sie hat noch Schmerzen aber schon wieder großen Appetit. Morgen, Mittwoch kommt noch eine Blutabnahme - der Venflon ist ja eh noch drin - und wahrscheinlich wird sie zu Mittag entlassen. Sie freut sich schon riesig darauf, den Philipp wieder zu sehen. Aber noch viel mehr anschließend aus dem Krankenhaus raus zu dürfen.
Es war für uns alle ein aufregender Tag, gefüllt mit vielen Emotionen von Sorgen und Ängsten, aber auch von großer Freude und Stolz, dass wir die auserwählte Familie sind, dass der doch relativ geringe Anteil an passenden Familienspendern bei unseren Kindern zutrifft.
Unsere Kinder kennen nun die Ängste, Schmerzen und Sorgen des Anderen, weil sie es genauso empfunden haben und am eigenen Körper gespürt haben. Philipp weiß genau wie unangenehm das Venflonstechen ist, das seine Schwester für ihn nun in kauf genommen hat, auch kennt er die Schmerzen nach einer Punktion, so wie sie jetzt auch die Schmerzen kennt die er so oft in den letzten Monaten ertragen hat.
Beide wissen nun wie ungemütlich Spitalsbetten sind, kennen die "köstliche" Spitalsküche, und vieles mehr. Das verändert Blickwinkel und Einstellungen und vor allem auch Wertschätzungen.
Es war für uns aber auch ein nachdenklicher Tag, geprägt von Dankbarkeit gegenüber der Forschung, wurde doch erst vor etwas mehr als 100 Jahren in Österreich das System der Blutgruppen ergründet und jetzt spenden sich unsere Kinder das noch viel komplexere Knochenmark und steigern damit Heilungschancen.
Auch wenn ich jetzt viel geschrieben habe, irgendwie fehlen mir zu diesen faszinierenden Vorgängen und Entwicklungen die Worte.
Noch was:
Danke an alle die bereits die letzten Tage und Wochen, speziell Heute und hoffentlich auch noch die nächsten Wochen mit uns mitfiebern und an uns denken und uns Kraft schicken. Danke.
Danke auch für die vielen Forum Einträge, die Philipp bei Laune halten und ihm und uns Kraft geben und zeigen dass ihr alle hinter uns steht.
Die Kommunikationsmöglichkeiten sind für uns, Eltern, nun sehr eingeschränkt. Weil wir ins Zimmer nur sterile Dinge mitnehmen dürfen, muss das Handy draussen bleiben. Nur Philipp hat sein Handy im Zimmer, mit dem dürfen wir aber nicht telefonieren, weil der Kopf unsteril ist und somit Keime von uns auf Philipp übertragen werden könnten. Er ist wahrscheinlich wegen der Schleimhautschmerzen in den nächsten Wochen nicht sehr gesprächig, also bleibt nur die Kommunikation mittels SMS über Philipps Handy, weil die Hände von uns allen sind ja desinfiziert.
Wenn Philipp mit dem Laptop online ist kann man mit ihm auch über Skype chatten.